Strukturwandel geht nicht ohne Bildungswandel
Name: Josefine Martha Pritschkoleit
Geburtsjahr, -ort: 1987 | Cottbus
Berufliches Zuhause: Vorstand im Verein Wurzelwerk Lausitz e.V. / Mitarbeiterin BTU
Hobbies: Theaterbesuche, Yoga, Eisbaden, Lesen
Status: Zurückgekehrte
Josefine Pritschkoleit gründete 2019 den Wurzelwerk Lausitz e.V.. Mittlerweile engagieren sich in dem Verein rund 25 Menschen mit unterschiedlichen fachlichen Kompetenzen für ein gemeinsames Ziel: das Gründen einer Schule in freier Trägerschaft. Erst zum Jahresbeginn fasst die Lausitzer Rundschau zusammen, was für Eltern in Cottbus längst spürbare Realität ist: die Schulen der Stadt platzen aus allen Nähten. Neben den Aus- und Neubauplänen der Kommune seien auch private Initiativen gefragt. Welchem Konzept sich die geplante „Freie Alternativschule Lausitz“ verschreibt und welche Herausforderungen bis zum anvisierten Schulstart 2025/26 zu bewältigen sind, erfahren wir von der charismatischen Vereinsvorständin Josefine. Sie verrät uns zudem, warum ihre Heimat Cottbus sie nie losgelassen hat und welchen Ort sie hier am liebsten hat.
Josefine, was motivierte dich zu der angestrebten Schulgründung?
Nach meinem Schnupper-Studium in Marburg wollte ich eigentlich nach Berlin, ich saß schon auf gepackten Kisten. Kurzerhand entschied ich mich dann aber doch aus persönlichen Gründen für die Heimat. Meine Motivation, mich für alternative Lernkonzepte zu engagieren, blühte mit den Erfahrungen der eigenen Elternschaft richtig auf. Ich bin überzeugt, es braucht spezielle Fähigkeiten in dieser komplexen, chaotischen Welt, in der vieles neu und innovativ daherkommt. Kinder sollen erleben, wie sie mit ihrem eigenen Handeln etwas für die Umwelt und Menschen tun können. Sie sollen gut gewappnet in die Zukunft starten. Daher wollen wir eine Kreativität fördern, die insbesondere Problemlösungskompetenzen ausprägt. Die Freie Schule ist ein Herzensprojekt für mich. Ich bin weder Pädagogin, noch will ich Schulleiterin werden. Mir geht es um ein adäquates Angebot für wachsende Menschen. Jedes Kind sollte für sich herausfinden können, was es aus eigenem Antrieb gut kann. Dabei glaube ich perspektivisch an geeignetere Berufswege, weil Kinder viel eher ihr Ziel vor Augen entdecken. Statt zu Meckern, wollte ich über die Vereinsgründung einen konstruktiven Weg einschlagen, auch wenn mein eigenes Kind davon nicht mehr profitieren wird. Ein offenes Schulkonzept, das sich in anderen Großstädten bereits bewährt hat, passt gut auch in die Lausitz.
Ihr wünscht euch „nachhaltige Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Welche Lernansätze und Ziele stecken im Detail in eurem Konzept? Was können Kinder und Eltern von der Freien Alternativschule Lausitz erwarten?
Unser Alleinstellungsmerkmal ist der offene Unterricht nach Reformpädagoge Falko Peschel. Als nachhaltige Bildung und Entwicklung verstehen wir besonders das Vermitteln lebensnaher Kompetenzen. Wenn ein Kind weiß, wo es eine Information findet, muss es diese nicht mühsam auswendig gelernt haben. Unser Unterricht bringt zudem einen großen Bezug zur Natur und dem Leben mit – Zeit draußen zu verbringen ist ein wesentlicher Baustein. Wir sehen unser Konzept nicht als Konkurrenz zu bestehenden Schulen sondern als Ergänzung und Alternativ in einer diversen Bildungslandschaft. Im Kurzkonzept auf unserer Webseite kann man gern alle Details erfahren.
Wie sieht die Arbeit im Verein konkret für dich aus?
Anfangs ging es vor allem darum, die Vereinsstruktur aufbauen und die Arbeitsaufnahme in den drei Arbeitsgemeinschaften zu ermöglichen: Finanzen, Gebäude und Konzept. Ich selbst bin vor allem für die Organisation und die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Im Laufe der Zeit haben wir festgestellt, dass man als Ehrenamtliche, Vollzeitarbeitende und Eltern nicht den Arbeitsfortschritt erzielt, den wir uns vorgestellt hatten. Während der coronabedingten Lockdowns konnten wir nicht in dem Umfang Teambuilding, Hospitationen, Gebäudebesichtigungen sowie Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit machen, wie sie nötig gewesen wäre. Auch weil bestimmte Prozesse so langwierig daherkommen, oder notwendige Rahmenbedingungen nicht sofort passten, sind wir hinter unserem ursprünglichen Zeitplan hinterher. Wir glauben aber nach wie vor fest daran, dass ein Strukturwandel nicht ohne Bildungswandel funktioniert und engagieren uns nach Kräften für den Schulstart 2025/26.
Wie setzt sich der Verein zusammen und kann man noch mitmachen?
Meine Vorstandskolleginnen sind beide Rückkehrerinnen: Melanie Gade hat an einer freien Schule in Dresden gearbeitet und Tina Böhme hat sich u.a. mit der Mission eine Freie Schule zu gründen von Berlin auf nach Cottbus gemacht. Mittlerweile sind wir ein vielfältiges Team mit breiten Kompetenzen, suchen aber weiterhin aktive und passive Mitglieder.
Die Boomtown Cottbus sucht inmitten des Strukturwandels händeringend Arbeits- und Fachkräfte. Die Bevölkerung der Stadt liegt wieder stabil über 100.000 und wächst perspektivisch im fünfstelligen Bereich. Dennoch sind Schulgründungen und -erweiterungen eher ein mittelfristiger Prozess. Was sind hier eure Erfahrungen?
Nicht nur die staatlichen Schulen, auch die in freier Trägerschaft wie die Waldorfschule, die Bewegte Grundschule und die Evangelische Grundschule stoßen an Kapazitätsgrenzen und führen zum Teil lange Wartelisten. Das bestärkt uns weiterhin und motiviert, die Genehmigung schnellstmöglich zu erhalten. Ein Antrag für die Genehmigung durch das Brandenburger Bildungsministerium muss 1,5 Jahre vor Arbeitsaufnahme eingereicht sein. Da unsere Suche nach Mieträumen und Mitarbeitenden noch nicht abgeschlossen ist, zogen wir unseren unvollständigen Antrag vorerst zurück. Der Zwiespalt liegt aktuell in den erforderlichen Vorleistungen – wir müssten schon jetzt Lehrkräfte binden und Räume anmieten, könnten aber erst in 1,5 Jahren den Betrieb aufnehmen. Das würde immense Vorleistungen erfordern, die ein etablierter freier Träger besser leisten kann.
Was braucht ihr jetzt ganz konkret, um die Schulgründung abzusichern?
Einerseits Mieträume bzw. ein Gebäude, das gar nicht so groß sein muss (~200m² für den Start) und gern auch eine Übergangslösung darstellen kann. Wir starten mit 15 Schüler*innen der jahrgangsübergreifenden Lerngruppe 1.-3. Klasse und werden Jahr für Jahr wachsen. Vielleicht findet sich ja ein starker Partner in einem Strukturwandeltreiber, der als wichtiger Arbeitgeber der Stadt ein Zeichen im Rahmen der Fachkräfteansprache setzt und uns mit einer Räumlichkeit oder anderweitigem Sponsoring Anschub leistet?!
Außerdem suchen wir noch dringend Lehrkräfte für die Primarstufe mit 2. Staatsexamen und Referendariat. Wenn unsere Bemühungen fruchten, wollen wir im März den vollständigen Antrag abgeben und im nächsten Jahr den Schulbetrieb aufnehmen.
Verrätst du uns und neuen Cottbuser*innen abschließend deinen Lieblingsort in der Stadt?
Erholsam finde ich es besonders an der Spree entlang von der Sandower Brücke in Richtung Norden. Ein echtes Kleinod, mitten in der Großstadt.
Wir bedanken uns für das Gespräch. Das Interview führte Solveig Schaal.